Chronologie der Geschichte:

Kirchenneubau in Berlin

Für die Kirche „im Norden Berlins“ hatte man bei der Suche nach einem geeigneten und preiswerten Grundstück sorgfältig verschiedene Angebote geprüft. Die Entscheidung fiel zugunsten eines Geländes nahe der Brunnenstraße. Dort sollte nach der Schließung eines privaten Vieh- und Schlachthofes ein Wohngebiet entstehen. Ironie der Geschichte: Wo nun eine Kirche gebaut werden sollte, hatten vorher Schlachtschafe ihre Ställe!

Ein mehr repräsentativer Standort war ohnehin und nicht nur aus finanziellen Gründen ausgeschlossen: Zu dieser Zeit galt immer noch das preußische Gesetz, dass „die von der evangelischen Landeskirche sich getrennt haltenden Lutheraner“ – üblicherweise Altlutheraner genannt – keine Gebäude in Gestalt einer Kirche mit Turm und Glocken bauen durften. Folgerichtig ist das Gebäude in zeitgenössischen Verzeichnissen und Stadtkarten nur als „Kapelle“ aufgeführt.

Dieser Gottesdienstraum entstand dann innerhalb eines Gebäudekomplexes zwischen einem Wohngebäude an der Straßenfront und einem zweiten im hinteren Teil des Grundstücks. Abgesehen von den Räumen für die Pfarrer- und die Küsterfamilie waren die Mietwohnungen für die Gemeindekasse sehr wichtig. Und deshalb wurde die Grundstücksfläche ausgenutzt, soweit das Baurecht es zuließ. Für die Höfe musste eine Mindestbreite eingehalten werden, die durch die damaligen Feuerwehrspritzen vorgegeben war.

Baubeschreibung

Für den Gottesdienstraum kam es daher zu einer Anordnung mit dem Altar im Norden und seitlichen Kirchenfenstern, die über die Höfe Tageslicht erhielten – aber wegen der hohen Nachbarhäuser kaum mit direktem Sonnenlicht. In der Planzeichnung sind die Fenster recht kunstvoll mit Farbgläsern ausgestaltet, aber wie spätere Fotos zeigen, wurden sie wesentlich schlichter ausgeführt. Eine Besonderheit war das Oberlichtfenster in der Decke, 14 Meter über der Grundfläche.

Dem Altarraum entgegengesetzt – also südlich – befand sich die Empore für Orgel und Chor – geplant waren auch Emporen in den Seitenschiffen. Als Verbindung zwischen der Straße und dem Eingang zum Kirchraum unter der Empore gab es einen Durchgang inmitten des Vorderhauses. Die Kanzel war erhöht an der östlichen Wand angebaut. Als deren Zugang vom Altarbereich aus diente ein Nebenraum, der auch eine Tür zum Hof hatte und außerdem eine zum Hinterhaus, wo ein kleiner Gemeindesaal eingerichtet war.

Die Straßenfassade durfte auf Anweisung der Baubehörde nur sehr kleine Giebelverzierungen haben, und so wies draußen nur wenig auf ein Gotteshaus hin. Stattdessen fielen den Vorübergehenden zwei Ladengeschäfte ins Auge: eine Buchhandlung und eine Drogerie.

Die Grundsteinlegung war am 18. August 1893 erfolgt und die Einweihung am 3. Juli 1894. Pastor Grundmann ist alsbald von der Annenstraße in die neue Pfarrwohnung übergesiedelt. Der 1. April 1896 wurde dann das Datum für die Eigenständigkeit der Nord-Gemeinde. Dafür hatte man sich die kirchenrechtliche Genehmigung vom Oberkirchenkollegium in Breslau eingeholt, jedoch: „Die Frage der staatlichen Anerkennung, der Korporationsrechte … sollte zurückgestellt bleiben“. Es war eine regionale Teilung in Berlin vereinbart worden, und als Markierung galt östlich der Friedrichstraße die Linienstraße, westlich von ihr die Spree. Die Kirche in der Annenstraße wurde fortan Berlin-Süd oder auch Berlin-Mitte genannt, wobei der zweite Name treffender ist.

Wechsel im Pfarramt

Pastor Grundmann – obwohl er sich seiner Nordgemeinde herzlich verbunden wusste – stellte sich schon 1904 ganz der Gründung der West-Gemeinde und der Vorbereitung eines dortigen Kirchbaues zur Verfügung. Ein Jahr später wurde er Leiter der Inneren Mission in Leipzig. In den Ruhestand musste er krankheitsbedingt vorzeitig gehen, und dennoch übernahm er die altlutherische Gemeinde in Zürich, wo er sich wiederum intensiv für ein Gemeindehaus einsetzte.

Die Nachfolger waren zunächst Pastor Friedrich Schott, dann Pastor Martin Baumert, beide nur für wenige Jahre. Pastor Schott wurde bald sehr krank und musste 1909 aufhören, Pastor Baumert folgte 1917 einer Berufung in die lutherische Landeskirche von Mecklenburg. Danach begann für die Nord-Gemeinde die sehr prägende Zeit von Pastor Friedrich Grube, der aus Berlin stammte. Er wurde aus Swinemünde berufen, damals noch eine Tochtergemeinde von Wollin.

In das Jahr 1919 – der erste Weltkrieg war kaum überstanden – fiel das Jubiläum: 25 Jahre Nord-Kirche. Dies wollte man zum Anlass nehmen, alle Kräfte wachzurufen, um eine Sakristei anzubauen und den recht kleinen Gemeindesaal in den hinteren Hof hinein zu vergrößern. Für die Pläne wurde die Baugenehmigung trotz Überschreitens der Flächennutzung erkämpft, das Geld wurde zusammengebracht – dann widerrief das Amt seine Zustimmung: Es durften nur noch Wohnungen gebaut werden. Die Planung wurde nie wieder aufgegriffen. An baulichen Veränderungen gab es nur noch den späteren Umbau der zwei Ladengeschäfte zu Wohnungen.

Durch den Krieg hatte die Nord-Gemeinde 53 Opfer zu beklagen. Ihre Namen standen auf einer Gedenktafel gegenüber der Kanzel, es war die Arbeit des Holzbildhauers Wilhelm Groß, eines sehr engagierten Christen in Eden bei Oranienburg. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Oranienburger Gemeindeglieder den Kontakt hergestellt hatten. Oranienburg wurde – soweit bekannt – seit den 1920er-Jahren zu einem regelmäßigen Predigtort der Nord-Gemeinde, gleiches galt für Hermsdorf und Hennigsdorf.

Aus der Zeit der NS-Herrschaft ist bezeugt, dass Pastor Grube von der Kanzel mannhaft gegen die Weltanschauung des Nationalsozialismus Zeugnis abgelegt hat, so dass seine Gemeindeglieder oft in Sorge um ihn waren. Anfang 1939 wurde Pastor Grube Superintendent der „Märkischen Diözese“.

Der Zusammenbruch

Die Zeit lief auf das 50. Jahresfest der Kirchweihe zu. Doch schon zuvor, in der Nacht vom 23. zum 24. November 1943, machte einer der großen Bombenangriffe auf Berlin alles zunichte. Beide Wohnhäuser und die Kirche wurden völlig zerstört. Es gibt keine Informationen, dass jemand von den Bewohnern dabei umgekommen ist, vermutlich hatten sich die meisten im Humbodthain-Bunker in Sicherheit gebracht. Aber zumindest Pastor Grube mit seinen Töchtern und der Küster waren offensichtlich im Keller des Hauses, denn es wird berichtet, dass sie sofort aus den Flammen unter größter Gefahr für Leib und Leben etliches gerettet haben: das Altarkreuz, zwei Leuchter, Abendmahlsgeräte sowie Kirchenbücher. Aber selbst das, was in dem angeblich „bombensicheren“ Keller untergebracht war, ging verloren. Superintendent Grube brauchte viele Monate, um von der schweren Rauchvergiftung zu genesen; Unterkunft fand er im Hause seiner Tochter in Schlachtensee.

Erhalten geblieben sind Listen mit den letzten Mieteinnahmen der Häuser. Weil diese Zahlungen nun wegfielen, konnte man durch entsprechende Nachweise beim Entschädigungsamt hoffen, einen finanziellen Ausgleich zugunsten der Gemeindekasse zu erhalten, aber über einen Erfolg ist nichts bekannt.

Gottesdienste der Nord-Gemeinde fanden zunächst in der Lazarus-Kapelle statt, später in einem Hinterhof-Kirchsaal in der Anklamer Straße. Zum ersten Gottesdienst nach dem Zusammenbruch, am 20. Mai 1945 – am Pfingstsonntag –, hatte Pastor Grube die Wege zu Fuß gemacht.