Philipper 2, 5-11
Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht: Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.
Liebe Gemeinde,
die Aufforderung, die der Apostel Paulus hier an seine Gemeinde in Philippi schreibt, ist in der Geschichte der Kirche recht unterschiedlich umgesetzt worden. Als erstes kommt mir in den Sinn eine Ansammlung von Pferdekutschen, die ich inmitten im Großstadtverkehr in Kanada gesehen habe. Als ich mich darüber wunderte, was denn Pferdekutschen auf der Stadtautobahn zu suchen hätten, wurde ich aufgeklärt. „Das sind Mennoniten“, hieß es. „Das sind Leute, die streng nach ihrem Glauben leben und bei denen alles Neue abgelehnt wird.“ Und in der Tat: Als wir an den Kutschen vorbeifuhren, sah ich junge Leute darin sitzen, die gekleidet waren wie zu Urgroßmutters Zeiten. Die Männer schwarz mit Hut, die Frauen mit schlichten grauen Kleidern und weißen Kappen, wie man sie aus den alten amerikanischen Filmen aus dem 18. Jahrhundert kennt. „Aber es gibt auch moderne Mennoniten,“ hieß es, „die fahren Auto. Aber auch die erkennt man. Die Autos sind ganz schwarz, und ohne jedes Chromteil. Und der Lack glänzt nicht, sondern ist matt. Mattschwarz“. Ja, und tatsächlich sahen wir auch bald ein solches Gefährt. Fast ein bisschen unheimlich anmutend, alt und rabenschwarz. – Nun, zu diesen Mennoniten gäbe es noch viel zu zu erzählen, aber das ist heute nicht das Thema.
„Seid so gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht“, sagt der Apostel. Und er zählt auf: ER nahm Knechtsgestalt an, ER ward gehorsam bis zum Tode, ja, bis zum Tode am Kreuz.
Knechtsgestalt nahm Jesus an. „Sklavengestalt“ wörtlich und wirklich. Nicht nur, dass Gott in Christus Mensch wurde, er wurde Sklave, Knecht, Diener. Er ist es, der sich die Schürze umbindet und nicht nur in der Küche Geschirr spült, sondern seinen Schülern, seinen Jüngern, die Füße wäscht. Er macht es nicht so, wie heute vielfach der Eindruck von denen ist, die sich gerne „Diener“ nennen, Staatsdiener, also „Minister“ heißen, was „Diener des Staates“ heißen soll, aber sie hauptsächlich erlebt werden als Menschen, die Herrschaft und Macht ausüben, die sich auf Kosten der Steuerzahler Vorteile verschaffen und eventuell sich sogar noch Bestechungsgelder für Maskenproduktion in Riesensummen sich zustecken lassen. Was hoffentlich nur Ausnahmen sind.
Aber lassen wir mal dieses Anschwärzen beiseite –es hat immer Menschen gegeben, die gern und voller Überzeugung einen Beruf gewählt haben, in denen sie anderen dienen und Menschen helfen können. Und ich denke da auch nicht an eine bestimmte Berufsgruppe, sondern ich spreche da von einer Grundhaltung, die den Nächsten, den Mitmenschen, im Blick hat. Und es wird sehr schnell deutlich, welche Grundhaltung jemand hat. Ob man als Lehrer um seine Schüler bemüht ist oder ob man nur einfach seinen Unterricht abspult. Ob man als Krankenschwester oder Arzt arbeitet und man sich dabei vor Augen hält, dass man Menschen vor sich hat, Gottes
Kinder und Ebenbilder, und keine „Fälle“, die man dann Patienten nennt. Und dass man das, was man tut, vor Gott zu verantworten hat. Und das geht letztlich alle an, vom Bundespräsidenten bis zur Hausfrau, Mutter und Oma. Vom Handwerker und Geschäftsmann bis hinein in jede Ehe: Jeder Christ ist nach Paulus gehalten sich zu fragen, ob sein Handeln nicht nur korrekt und richtig ist, sondern auch im Blick auf den Herrn Jesus geschieht, nach seinem Vorbild. ER, der Größte, er wird der Geringste, wird Opfer und Lamm Gottes. Und spätestens hier können wir nicht mehr mit, selbst wenn wir wollten. Auch die Christen, die heute so zahlreich ihr Leben wagen wegen ihres Glaubens, auch sie sind nur solche, die im Blick auf das Vorbild des Herrn andern zum Zeugnis handeln.
Was Christus tat, bleibt einmalig und kann von niemanden erreicht werden. Auch wenn wir besondere Wege gehen und vielleicht besonders Autos mit schwarzem und mattem Lack fahren, oder uns kleiden wie vor 200 Jahren: Es bleibt die Frage, ob es Christus zur Ehre dient oder nicht. Ob es seinem Vorbild entspricht, in der jetzigen Situation so zu handeln und auch auf gewohnten Positionen zu beharren oder nicht. Ist Dienst mit der Waffe in Afghanistan vom christlichen Standpunkt aus zu rechtfertigen oder nicht? Helfe und diene ich Menschen im Sinne Jesu oder vertrete ich Machtpositionen und Rohstoffinteressen? Da sind auch unter Christen völlig legitim unterschiedliche Antworten möglich. Es ist möglich, dass zwei Christen, gerade auch in der Verantwortung vor Gott, zu unterschiedlichen Antworten in vielen Fragen kommen.
Damit sind wir beim letzten Punkt: dem Gehorsam, den Christus uns vorgelebt hat. Gehorsam bis zum Tode am Kreuz.
Wenn ich frage: Wie sind wir Gott gehorsam? – dann lautet eine schnelle Antwort: indem wir uns bemühen, seine Gebote zu halten. Und damit haben wir eine grundlegende Richtschnur für unser Leben.
Aber: Wir sagen dennoch: Nicht das Halten der Gebote macht uns selig, sie bringen uns nicht zu Gott oder in den Himmel. Und warum nicht? – Weil wir mit dieser Haltung gerade das umgehen, was uns Jesus vorgelebt hat. „Alle Zungen sollen bekennen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes des Vaters“. D a s hat er uns erworben: dass er der Herr ist. Das ist nicht nur Bekenntnis zu Jesus Christus, nicht nur zu ihm als göttlicher Person, die legitim beansprucht Gott gleich zu sein. Sondern: Das ist für uns ganz persönlich das Bekenntnis zu dem Weg, den Christus uns bereitet hat. Wozu ist er diesen Weg gegangen, diesen Weg in die Niedrigkeit und ans Kreuz? Dass wir bekennen und sagen: Ja, gut so, Jesus ist der Herr, Gottes Sohn? – Gewiß, ja, aber das ist nur die eine Hälfte. Die andere Hälfte, und die vielleicht noch wichtigere Hälfte, ist, dass Jesus Christus dies für mich geworden ist und es für mich getan hat. Dass er diesen Weg in den Tod am Kreuz für mich gegangen ist und dass er für mich den Tod überwunden hat. Und wenn ich meine Knie vor ihm beuge und wenn du deine Knie vor ihm beugst, dann deshalb, weil du sprichst: Du, Herr, hast mich erlöst. Du, Herr Christus, hast für mich die Zeche bezahlt, meine Sündenrechnung beglichen, mich herausgehoben aus dem Schmutz und mir dein weißes Kleid in der Taufe angelegt. Und mit diesem Kleid habe ich freien Eintritt in den Himmel. Dieses weiße Kleid Jesu darf und soll ich anziehen. Dann erst bin ich ihm gehorsam. Da muss ich nicht Kleider tragen wie vor 200 Jahren. Und mein Auto darf eine ganz gewöhnliche Lackierung haben. Ich muss auch nicht mein Christentum als Ikone vor mir hertragen. Dass ich Christ bin, das hat mit dem Herrn Jesus Christus zu tun. Mit seinem Werk für mich, mit seinem Gehorsam für mich bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz. Jemand hat es mal verglichen mit einem Schwimmer in einem großen See. Er sagt: Ich schwimme da, weit und breit kein Ufer; es ist eine Frage der Zeit, bis mir die Kräfte schwinden und ich untergehe. Da kommt der Herr in einem großen Schiff vorbei, sieht mich in meiner schrecklichen Lage und lässt ein Rettungsboot aussetzen und heißt mich einsteigen, er hilft mir sogar noch hinein. Und jetzt bin ich gerettet, ich verdanke mein Leben dieser Aktion. Für mich hat er ein Boot geschickt. Zu meiner Rettung.
Und deshalb singt der Apostel Paulus hier und dichtet in diesem Abschnitt aus dem Philipperbrief das Loblied des Herrn für sich und für alle Christen: Sie verdanken ihm alles: „… dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.“ Amen.