Weh denen, die Böses gut und Gutes böse nennen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen, die aus sauer süß und aus süß sauer machen! (Jes 5,20)
Sehr geehrte Leserinnen und Leser, liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
nachdem sich bereits im Oktober anhand der Monatslosung das Thema der Lieder ergab, geht es im November fast so weiter – zumindest ist im Zusammenhang unserer aktuellen Monatslosung des Novembers das „Lied vom unfruchtbaren Weinberg“ zu lesen (vgl. 5,1-7): Diese Rede beginnt der Prophet wie ein Spielmann, umgeben von viel Volk, der sich selbst und seinen Zuhörern zuruft: „Wohlan, ich will von meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg.“ (5,1)
Dass es mit diesem Weinberg, der symbolisch für Gottes Volk steht, in dem Lied nicht gut ausgeht, zeigt dessen Schluss: „Er [der HERR Zebaoth] wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.“ (5,7) Anders gesagt: Nicht die Früchte, die der HERR sehen will. Unsere Monatslosung allerdings stammt aus dem anschließenden Abschnitt (vgl. 5,8-24); darin werden manche der „faulen (Weinberg-)Früchte“ beschrieben, die aus göttlicher Perspektive zu kritisieren sind. Diese Kritik geschieht in Form von mehreren „Wehe-Rufen“ – etwa über die Habsucht und den Geiz; eine weitere ist 5,20 als das vierte Wehe: „Weh denen, die Böses gut und Gutes böse nennen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen, die aus sauer süß und aus süß sauer machen!“
Aber was ist gut und was ist böse? Bei den diversen Saubermännern und -frauen, dem Glanz, Glamour und Gloria in Fernsehen, Internet und Werbung sowie den oft so süß schmeckenden Dingen, die aber auf kurz oder lang schädlich für Herz, Zähne oder den sozialen Zusammenhalt in Familie, Gemeinde oder Gesellschaft sind: Gibt es überhaupt (noch) „Böses“ oder „Gutes“ – oder liegt das nicht im Auge der Betrachterin bzw. des Betrachters? Und falls doch so etwas wie Wahrheit – auch in moralischen Fragen – möglich ist: Kann es überhaupt erkannt oder verstanden werden? Kommt es nicht eher auf die ganz persönliche Empfindung an, die „eigene Sicht der Dinge“?
Es mag manchen inkonsequent und paradox vorkommen, wenn heutzutage (zumindest oft gerade anderen gegenüber) zu kritisieren sehr in Mode ist, aber kritisiert zu werden weniger erwünscht. Es ist ja unangenehm umzudenken; die entweder schon lange gepflegte oder erst neu erworbene Sichtweise zu hinterfragen bzw. hinterfragen zu lassen und vielleicht gerade durch den bzw. die gar nicht als so weiterführend wahrgenommene(-n) Nächste(-n) auf neue Perspektiven hingewiesen zu werden.
Gerade aber kritische Worte (um nicht zu sagen: Wider-Worte) können und sollen zu neuen Perspektiven (nicht nur heute am Reformationstag) führen, auch in moralischen Fragen. Denn wie wir unser Leben aus dem Glauben führen, ist nicht egal oder dem eigenen Belieben unterworfen, sondern wenn wir dem HERRN huldigen und folgen, dann gibt es keine Moral, die den Weisungen Gottes in Form Seiner Gebote widerspricht; dann kann das Bittere nicht plötzlich süß oder das Süße plötzlich salzig schmecken. Naturgemäß hat es Böses als widergöttliches so an sich, von finsterer Natur zu sein, und liebt deshalb die Finsternis, die Heimlichkeit, das Verborgene und Verdeckte.
Christus aber, selbst gekommen, um Gottes Gebote zu bestätigen und zu vertiefen, spricht: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8,12) Sich diesem Licht zu stellen und zugleich die darin verborgene Verheißung zu entdecken wünscht Ihnen wie mir Ihr Pfarrvikar Dr. Andreas Pflock (31.10.2022)