Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod.

(Hoheslied 8,6)

 

Sehr geehrte Leserinnen und Leser, liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

hier im Hohelied spricht eine liebende Frau; sie drückt ihre Zuneigung und die Sehnsucht nach Zugehörigkeit aus. Zudem artikuliert sie ihr Bedürfnis, ja Verlangen, nach Nähe und Zärtlichkeit: Zuerst steht da der Wunsch, als Kostbarkeit – als Kleinod, das man(n) nicht wieder hergibt – wahrgenommen und von ihm auf seinem Herzen getragen zu werden. Hinzu kommt, dass er sie wie einen Siegelring unzertrennlich an seinen Arm nimmt. Die un(ab)lösbare Verbundenheit und Vereinigung innerlich wie äußerlich ist das, was sie erstrebt; mit anderen Worten: dass sie beide sowohl in der Liebesgesinnung als auch auf ihrem gemeinsamen Lebensweg miteinander verbunden bleiben.

Die Liebeslyrik im Hohelied integriert sowohl die Physis als auch die Psyche der Liebe – die körperliche wie die seelische Seite. Frau und Mann kommen beide zu Wort, die aktive wie passive Seite der Liebe, ihre weitreichende Energie und zugleich mächtigen Konsequenzen werden in – mal mehr, mal weniger für unsere Lebenswelt direkt anschlussfähigen – Worten skizziert, die die Liebenden in ihrer eigenen Welt beschreiben. Die Faszination der Liebe und des Verliebtseins, die Sehnsucht nach dem begehrenden und begehrten Gegenüber ziehen mit hinein in die Sehnsucht bzw. ihre Erfüllung: Sehnsucht nämlich – ob in einsamer oder zweisamer Einsamkeit – strebt danach, drängt daraufhin, erfüllt zu werden. Liebe ist energiegeladen, und passenderweise wird im Text die Energie der Liebe mit der Energie des Todes verglichen: eine Energie, der nichts standhalten kann, die nicht zu bewältigen oder abzuwehren ist. Die Vergleichbarkeit von Liebe und Tod besteht darin, dass Liebe wie Tod den Menschen mit unwiderstehlicher Macht erfassen: „Wen der Tod überfällt, der muss sterben; wen die Liebe überfällt, der muss lieben.“

Und aus dieser Liebe entspringen dann – jeweils bei Mann und Frau unterschiedlich – die Früchte der Liebe, die unterschiedliche Ausdrucksweise und Zelebration der gemeinsamen Liebesbeziehung. Dank dieser Energie können die Liebenden nicht nur durch den Text in die Welt des Hoheliedes, sondern in eine von Gott entfachte Flamme eintauchen: die Liebe als gottgewirkte freie Neigung zweier Seelen zueinander, die allen Widerständen und Widerwärtigkeiten standhält. Daher: „Viele Wasser können die Liebe nicht auslöschen noch die Ströme sie ertränken. Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, würde man ihn verachten?“ (8,7) Keine noch so mächtig heranbrausende Masse, Menge oder Welle an Widrigkeiten vermag wahre Liebe zu dämpfen (wie es einem Lagerfeuer bei entsprechender Wassermenge ergehen würde); dieser Liebe ist keine Macht der Erde gewachsen und keine Übermacht kann sie ertränken, da sie als Flamme des HERRN unauslöschlich ist.

Sich umeinander in dieser Liebe zu bemühen, das Herz der bzw. des anderen zu gewinnen, ist Zentrum der intimen Liebe, die Gott in der Schöpfung angelegt hat und ersehnt. Diese Liebe ist auf Beständigkeit aus – auf verbindliche Zuverlässigkeit, auf kostbare Exklusivität und Hingabe. Mehr sogar: Diese Liebe ist Ausdruck dessen, wie Gott ist; sie demonstriert, wie Er sich aus Liebe überwältigen lässt und hingibt, in Christus gar bis in den Tod, um zu verdeutlichen, wie sehr die Verbindung zu „ihr“, Seiner Welt, Ihm am Herzen liegt. Von Seiner Liebe entzündete Herzen streben entsprechend aus Liebe zu Ihm nach der Vereinigung mit dem Geliebten und suchen Seinen Willen. – Einen auf vielen Ebenen liebevollen Juni wünscht Ihnen Ihr Pfarrvikar Dr. Andreas Pflock