Jesus Christus spricht: Kommt und seht! (Johannes 1,39)

Sehr geehrte Leserinnen und Leser, liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

das neue Kalenderjahr bricht an und mit diesem ein Spektrum fast unzähliger Möglichkeiten: zu kommen und zu sehen. Wohin kann ein Mensch mit etwas Wissen und Witz nicht überall kommen; was kann er oder sie nicht alles sehen, worauf den Blick richten! Ob im persönlichen Umfeld oder im Netz der textlichen bzw. visuellen Eindrücke online: Überall bedarf es der Aufmerksamkeit, der Bewegung, kurz: der Energie, die bei allen Menschen nur begrenzt zur Verfügung steht.

Auch im neuen Jahr warten manche „alte Bekannte“ aus dem Vorjahr: Von A wie Abstandsgebot über Q wie Quarantäne bis Z wie „Zahlen, die mich in Schwindel versetzen“ (so der französische Kollege unseres Gesundheitsministers); aber auch Unbekanntes, das je nach Lebenslage und Perspektive anziehend, beängstigend, chaotisch, düster, eindrucksvoll u. a. sein kann. Vieles lohnt den Aufwand, die Aufmerksamkeit, lohnt den Blick und die Bewegung: Diese uns vom Schöpfer anvertraute Welt mit Menschen und Tieren, mit der ganzen Natur und aller Kultur bedarf der Pflege und der Zuwendung.

„Kommt und seht!“ im globalen, insbesondere dem zwischenmenschlichen Kontext ist dann der Ruf hin zum umgänglichen und umsichtigen Miteinander: Was ist in dieser Situation zu tun; wo kann ich auf keinem Fall wegschauen? Welche Bedürfnisse habe ich oder hat mein Mitmensch im Moment? Wie kann ich am besten behilflich sein? Und: Wo gibt es Grenzen, die sich aus (theo-)logischen Gründen nahelegen; wo gehe ich besser auf Distanz? Mit dieser Welt, dem Mitmenschen, der Partnerin/dem Partner, der Familie; allen damit verbundenen Lasten und Ressourcen; mit dem finanziellen oder sozialen Kapital, allen Zeit-, Gefühls- und Aufmerksamkeitsreserven als Gottes Gaben sind zugleich Aufgaben und der Auftrag verbunden, diese Güter gemäß der Gebote Gottes einzusetzen und zu gebrauchen.

Ihre Aufmerksamkeit und Zeit richten im Kontext der Monatslosung zwei Schüler von Johannes dem Täufer auf Jesus, den der Täufer ihnen als das Lamm Gottes verkündigte (vgl. 1,35–37). Jesu Frage an sie „Was sucht ihr?“ begegnen sie mit der Gegenfrage: „Rabbi, wo ist deine Bleibe?“ (1,38), worauf es heißt: „Er sprach zu ihnen: Kommt und seht! Sie kamen und sahen’s und blieben diesen Tag bei ihm. Es war aber um die zehnte Stunde.“ (1,39)

Da muss es wohl einiges gegeben haben, was sie faszinierte, was sie wissen und lernen wollten und was sie für sehenswert hielten. Offenbar machten sie ihre Erfahrungen und blieben; kamen nicht zu Johannes dem Täufer zurück, sondern folgten Jesus; sahen, wie durch Ihn Krankheit und Tod bezwungen wurden, erlebten, wie Er Menschen bis ins Innerste durchschaute und ihnen die frohe Botschaft von Gottes Herrschaft und Seiner Zuwendung verkündigte – und zwar mit Wort und Tat.

Mit Jesus kamen sie und sahen an Ihm, wie Gottes Wirken aussah. Zugleich verkündigten sie weiterhin den unsichtbaren, verborgenen Gott, den kein Mensch sehen kann – der aber in Seinem Sohn Jesus Christus selbst Mensch wurde, um so der von Ihm geliebten Welt als Mensch zu begegnen und sich für sie bis hin zum Kreuz aufzuopfern (vgl. 19,14–15). So erlebten sie letztlich, oder besser gesagt: „vorletztlich“, dass Gottes Weg in Christus hier auf Erden auch Leid und Tod nicht aussparte, sondern dass Er dies selbst erlitt.

„Kommt und seht!“ umfasst damit auch: zu sehen, wo die leiblichen Augen nicht mehr mitkommen; zu hoffen, obwohl augenscheinlich alles verloren ist; und Gottes Wirken dort zu erspüren, wo Er nach menschlichen Maßstäben gar ohnmächtig zu sein scheint. Hier hat dann auch die Fürbitte im Namen Jesu Christi für die Anliegen und Not anderer ihren Platz: „Herr, komm und sieh!“ (11,34); „sieh an die Not, sende Deine Hilfe – und wenn der Weg durch Leid und Tod hindurchgeht, dann schenke die nötige Kraft und ein seliges Ende!“ – In diesem Sinne ein gesegnetes neues Jahr durch Gottes Beistand wünscht Ihnen

Ihr Pfarrvikar Dr. Andreas Pflock